Die Stadt der Blinden

Genuss Gastrosophie 13.05.2016 keine Kommentare

In einer Welt in der die Gesellschaft aus den Fugen gerät passieren seltsame und unschöne Dinge. Wenn der Egoismus überwiegt, Achtsamkeit, Nachsicht, Sorgfalt und Miteinander in der letzten Reihe sitzen, bestraft die höhere Macht die Menschen. In „Die Stadt der Blinden“ lässt José Saramango ein komplettes Volk erblinden. Eine Strafe für das Abwenden des Blickes, für Unterdrückung und Hierarchie.

Jesus mit Kind

Der portugiesische Schriftsteller mit der düsteren Idee der Blindheit wurde am 16.11.1922 geboren. 1998 erhielt er für sein Werk den Nobelpreis für Literatur; er verstarb 2010. Seine Bücher sprechen von einer Art Tristesse wie ich sie hier in Lissabon auch erlebe, diese sanfte Art der Saudade. Melancholie gewürzt mit Schmerz, verlorener Liebe abgeschmeckt mit Sehnsucht. Die Poesie schmückt sich mit der Einsamkeit, das ist für mich an den Plätzen Lissabons ganz deutlich spürbar.

Maria mit Jesus

In den Kirchen stehen überall Figuren mit sehnsuchtsvollen, unerfüllten Blicken. Kinder, die Frauen anhimmeln, die Hände an Wangen legen und auf eine sehr berührende Weise lebendig wirken. Die Stille dieser Orte macht mein Herz ganz weich, öffnet die Seele und lässt tiefe Verbundenheit zu den Menschen zu, die so fern und doch so nah sind.

Gläubiger mit Kind

Das Loch in meinem Herzen füllt sich mit der Weichheit Lissabons. Mit dem Geschmack der Natas, mit den Blicken der Menschen. Mit dem abendlichen Treffen zum außergewöhnlichen Essen bei Antonio. Überall begegne ich Menschen, die mehr als freundlich sind. Offenen Blickes, hilfsbereit und strahlend, wenn ein paar portugiesische Worte meine Lippen verlassen.

Salat im Cruzes Credo

Kultur, Kulinaristik und Zeitgeschehen sind in Lissabon die Begleiter der Abende. Die Geschichten über die Stadt, die Gärten und die Lebensweise interessieren mich besonders. Warum essen die Einwohner ihre Speisen so rasch? Mögen sie vielleicht ihre eigenen Fische nicht? Ha! Es ist viel einfacher. Die Gäste in den Restaurants, Bars und Strandbuden essen immer ganz schnell, die Kellner „reißen“ den Sitzenden fast die Teller vom Tisch, doch das ist keine Unhöflichkeit, sondern die Sehnsucht nach dem Süßen! Verwirrend und herrlich zugleich, wie sich eine ganze Nation über Pudding und Karamelsauce hermacht. Scheinbar auf der ewigen Suche nach dem Süßen für Seele und Lebensfreude, ach.

„Obrigada“ – vielen Dank für diese Stunden, Tage und Erlebnisse. JA! über das Wetter möchte ich regenweise schweigen! Dennoch, dieser Zauber der sieben Hügel, der Kirchen, Kathedralen, Plätze und der sanften Menschen erfüllt mich, macht mich ganz warm lächend. So sicher wie die klebrigen Kuchenstückchen jeden Tag in den Mündern der Portugiesen verschwinden, so sicher ist es, dass ich an diesen Ort am Tejo zurückkehren werde.

Katrine Lihn – ganz einig mit Franz Kafka*

* „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“

 

Die Stadt der Blinden

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